Frau und Mutter

Kindheit und Jugend

Ursula Kuczynski (Ruth Werner) wurde am 15.Mai 1907 als zweites Kind von Berta Kuczynski (Malerin) und Rene Kuczynski (Ökonom) geboren. Die deutsch-jüdische Familie lebte in einer Berliner Villa am Schlachtensee.

Zusammen mit fünf Geschwistern lebte die Familie einfach und sparsam.

„Eine Besonderheit meiner Jugendzeit war der Widerspruch zwischen der großen Villa am Schlachtensee, in der wir wohnten, und unserem relativ einfachen Lebensstandard.“ Sonjas Rapport Seite 12.

Ursula wurde 1918, in der Hungersnot, wegen Untergewichts zu Bekannten auf‘s Land, sowie später zusammen mit der jüngeren Schwester in ein Kinderheim an die Nordsee geschickt. Konkrete Erfahrungen machte sie mit der Inflation. So schrieb sie z.B. in einem Brief von einer Schülerferienreise an die Eltern: „… die Preise sind hier haarsträubend. Wenn Du mir was schicken willst, dann Wurst! Die kostet hier 15.000 Mark das Viertelpfund.“ Sonjas Rapport Seite 13

Nach dem Lyzeumsbesuch begann sie eine Lehre in einer Buchhandlung. Sie nahm bewusst die Ungleichheit wahr, sah die vielen Bettler auf den Berliner Straßen und erlebte die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. 1924 trat sie mit 17 Jahren in den kommunistischen Jugendverband ein. Sie wurde dort von ihren Freunden sibirisches Steppenpferd genannt.

„Aber warum Jungkommunisten sie damals so nannten, das weiß ich noch sehr genau: Weil sie so war, wie wir uns eben ein sibirisches Steppenpferd vorstellten: Mit einer wilden, sympathisch anzuschauenden kohlrabenschwarzen Pferdemähne; enorm temperamentvoll, manchmal unbändig, immer bereit , mit gezielten Sprüngen eine Hürde nach der anderen zu nehmen; galoppierend – mit diesem oder jenem Stolpern mitunter – aber immer in der richtigen Richtung, eben wie ein sibirisches Steppenpferd.“ Auskünfte über Ruth Werner, Seite 12

Sie sah die Verhältnisse vor Ort in Berlin und setzte sich beim kommunistischen Jugendverband aktiv für die Veränderung der Lebensverhältnisse ein. Sie verfasste Reden und organisierte Aktionen.

1926 tritt Ursula in die KPD ein. Sie lernt in Berlin Rudolf Hamburger kennen, einen vier Jahre älteren Studenten der Architektur, aus einer bürgerlich liberalen Familie.

Ursulas Liebe zur Natur formulierte sie in einem Brief an ihren Bruder so: „Ich glaube, dass ich in Bezug auf Wohnraum anspruchslos leben kann, aber nicht in Bezug auf Landschaft. Lieber täglich stundenlanger Weg zur Stadt und zum Häusermeer…, aber irgendwann, sei es nur eine halbe Stunde, draußen sein.“ Sonjas Rapport Seite 28

Rolf war sehr angetan von Ursel. „Besonders eine, schwarzhaarig und springlebendig, parierte sehr gewandt Angriffe auf die organisierte Arbeiterjugend.“ Funksprüche an Sonja -Liebesglück und Politik- Aus den Aufzeichnungen von Rudolf Hamburger S.41

Rolf bewunderte Ursula, da sie unter ihres gleichen sehr hohes Ansehen genoss. Sie verbrachten viel gemeinsame Zeit und er begleitete sie oft zu Veranstaltungen. Sie wurden ein Liebespaar. In seinen Aufzeichnungen beschrieb er die zwei Welten, zwischen denen er sich bewegte. Einerseits der bürgerliche Bereich seiner beruflichen Laufbahn, andererseits seine politischen Anschauungen, die gegen seine zukünftigen Auftraggeber sprachen. Dieser Konflikt wirkte sich auch auf das Verhältnis zwischen ihm und Ursula aus. Unabhängig davon unterstützte er sie tatkräftig, half beim Einrichten eines „Roten Buchladens“ im Arbeiterviertel am Görlitzer Bahnhof. Ursula zog mit einem Bücherkarren durch Berlin, um gespendete Bücher einzusammeln. 

Auf Grund ihrer politischen Überzeugung verlor Ursula ihre Stellung und ging nach New York, um dort in einer Buchhandlung zu arbeiten.

Nach ihrer Rückkehr, im August 1929, beschlossen sie zu heiraten. Die Hochzeitsreise führte sie zu den Berliner Seen. Die wirtschaftliche Lage wurde immer schlechter. Rolf Hamburger setzte seine Verbindungen ein, um als Architekt Fuß zu fassen. Er erfuhr von einer Ausschreibung der englischen Stadtverwaltung in Shanghai. Bedingung: sofort anfangen!

Ursula und Rolf Hamburger in China

In ihrem Roman „Ein ungewöhnliches Mädchen“ mit autobiografischen Zügen, schildert Ursula die schockierenden Eindrücke von der Armut in China. Auch Rolf Hamburger beschrieb die extrem sozialen Unterschiede als gewaltigen Schock für sie beide. Ursula fühlte sich abgestoßen von dem Müßiggängertum der Damen der Oberschicht, lehnte Einladungen von seinen Vorgesetzten und Geschäftsleuten ab, so dass es darüber Streit zwischen den Eheleuten gab, auch Auseinandersetzungen über die Kleidung zu solchen Anlässen. „Jede Art der Geschäftskleidung widerstrebte ihr als Symbol bürgerlicher Entartung, von den Abendschuhen mit den Stilabsätzen, die sie ewig drückten, ganz zu schweigen.“ „Funksprüche an Sonja“, Seite 52-54

Neben den schwierigen klimatischen Bedingungen, der Langeweile und der Abneigung gegen die Shanghaier Gesellschaft wurde Ursula gequält von den fehlenden Kontakten zu den chinesischen Kommunisten. Als ihr ständig übel war und sie wegen „Darmbewegungen“ zum Arzt ging, erfuhr sie, dass es Kindsbewegungen waren. Sie erwartete ein Kind.

Sie begann eine Halbtagstätigkeit bei einem Telegrammdienst. Dort richtete sie ein politisches Archiv ein, bekam Kontakte zu Journalisten und gewann eine Freundin, die ihr weitere Kontakte vermittelte. Sie lernte Richard Sorge kennen und stellte ihre Wohnung für illegale Treffen mit chinesischen Genossen zur Verfügung.

Für die Geburt von Michael am 13. Februar 1931 unterbrach sie ihre berufliche Tätigkeit. In einem Brief an ihren Bruder Jürgen schrieb sie: „…Ich bin einfach selig mit dem Kind und dann wieder entsetzt, dass er mich mit Haut und Haaren gefressen hat. Im Moment ist nichts von mir übrig, weder für Rolf noch Politik, noch Bücher, noch Euch, nur das Kind, und alles andere nur in Bezug auf das Kind. Es bedeutet eine ganz neue Welt mit völlig neuen Gefühlen und Gedanken.“ „Sonjas Rapport“ Seite 74

Differenzen mit Rolf hinsichtlich ihrer Einbeziehung in die illegale Arbeit, führten bei ihr zu der Aussage „obwohl ich nicht glaubte, dass meine Ehe die bestehenden Konflikte überdauern würde“ Sonjas Rapport Seite 108

Ursula freute sich sehr über das Gedeihen und Wachsen ihres Sohnes. Sie unternahm Reisen ins Innere von China und schilderte ihre Eindrücke in Briefen an die Eltern. „Ich genoß das Leben und konnte mich auch über Alltagsdinge ungewöhnlich freuen. Ich war in jeden Atemzug meines Sohnes verliebt und fest entschlossen, noch mehr Kinder zu haben, obwohl ich nicht glaubte, dass meine Ehe die bestehenden Konflikte überdauern würde.“ Sonjas Rapport Seite 108.

Als Micha zwei Jahre war gab es eine Anfrage von den sowjetischen Genossen, ob Ursel bereit wäre für eine Zeit von 6-12 Monaten nach Moskau zu gehen. Micha dürfte nicht mitkommen, sonst würde er dort Russisch lernen. Ursula sagte zu. Sie brachte ihren Sohn auf einer langen Reise über Wladiwostock und Moskau zu den Schwiegereltern in die Tschechoslowakei.

Nach siebenmonatiger Trennung und einer geheimdienstlichen Ausbildung in Moskau kam Ursula zurück in die Tschechei, um ihren Micha abzuholen. Der mittlerweile dreijährige Junge erkannte die Mutter nicht mehr und wollte auch nicht mit ihr gehen. Im April 1934 empfing Rolf Hamburger seinen Sohn und seine Frau in Shanghai. 

Unter dem Vorwand einer Tätigkeit als Vertreterin einer Shanghaier Buchhandlung zog Ursula mit Micha nach Mukden, in die japanisch besetzte Mandschurei und arbeitete dort illegal zur Unterstützung der Partisanen. 

Das zweite Kind, das Ursula erwartete, war ein Wunschkind, auch, wenn sie Bedenken hatte, denn es war von ihrem Partner und Vorgesetzten, in der geheimdienstlichen Arbeit „Ernst“ mit dem sie in der Mandschurei arbeitete. Ihrer beider konspirative Tätigkeit war gefährdet, und so reisten sie alle aus China ab. Somit musste sie sich auch von „Ernst“ trennen. In Europa traf sie ihren Ehemann Rudolf.

Illegale Arbeit mit zwei Kindern

Nach einem kurzen Wiedersehen mit den Eltern und allen Geschwistern in London zog Ursula mit Ehemann Rolf im Auftrag der Partei nach Polen, um dort konspirativ zu arbeiten. Die langjährige Kinderfrau der Familie, Ollo, ging mit ihnen, um sich um Michael und das zweite Kind zu kümmern.

Am 27.4.1936 wurde „Janina“ geboren. An ihre Eltern schrieb sie im Mai 1936: „Ihr könnt Euch überhaupt nicht diese Wonne vorstellen, wenn man aus der Stadt zurückkommt, und ein Babykörbchen mit Inhalt steht vor dem Haus im Wald…“ Sonjas Rapport Seite 185

Janina schrieb später in ihrem Buch „Die Tochter bin ich“: „ Am Tage, als sie aus der Klinik zurückkehrte, funkte sie wieder. In dieser Nacht begann ihr im Geheimcode verschlüsseltes Telegramm mit dem Satz: Entschuldigt Verzögerung, habe Tochter geboren“ Die Tochter bin ich, Seite 5

In ihrem autobiografischen Roman „Sonjas Rapport“ gibt Ursula zu, in China, während ihrer illegalen Tätigkeit, Sorge und Unruhe um das Wohl ihres Sohnes Micha gehabt zu haben. Umso mehr ist sie nun beruhigt, die Kinderfrau Ollo bei den beiden Kindern zu wissen.

Janina wuchs in Polen auf, der Bruder Micha war fünf Jahre älter. Einige Umzüge führten die Familie von Warschau nach Danzig, wieder nach Zakopane. Dies war eine Herausforderung auch für die Kinder, die sich auf verschiedene Umgebungen einstellen mussten. Die Umzüge erfolgten auf Wunsch der Genossen, um konspirative Gruppen aufzubauen. Im Winter 1937 brachte Ursula die Kinder zu den Schwiegereltern, die nicht wussten, dass Janina nicht Rolfs Kind ist. „Rolf aber bat mich, in der schweren Hitlerzeit seiner Mutter keinen weiteren Kummer zuzufügen.“ Sonjas Rapport Seite 197-198.

Ab Juni 1937 weilte Ursula drei Monate in Moskau zur Ausbildung, um dann ein Jahr später wieder nach Moskau zu gehen. Vorher brachte sie die Kinder Micha und Janina und die Kinderfrau nach England und in Sicherheit. Ursula selbst ging in die Schweiz um dort konspirativ zu arbeiten. Sie holte die Kinder nach und bemerkte „Meine Kinder zogen von Land zu Land und kamen nie richtig zur Ruhe. Micha hatte mit sieben Jahren bereits Shanghai, Peking, Mukden, Warschau, Danzig, Zakopane, die Tschechoslowakei und England zum Wohnort gehabt und im Laufe dieser Zeit Deutsch, Chinesisch und Polnisch gelernt. Nun würde er in der Schweiz mit Französisch anfangen. Für seine Entwicklung wäre ein fester Heimatort, in dem er Wurzeln hätte schlagen können, besser gewesen. Ich habe mich immer bemüht, soweit es die Arbeit erlaubte, den Kindern ein gesundes und schönes Leben zu bieten. Sie waren lange in der polnischen Hohen Tatra gewesen und jetzt drei Monate an der englischen Küste; ich hatte vor, auch in der Schweiz ein gutes Zuhause für sie zu schaffen.“ Sonjas Rapport Seite 218, 219

In ihrem Buch „Die Tochter bin ich“ Seite 11 erinnerte sich Janina an das Haus in der Schweiz, an das Feld voller wilder Narzissen hinter dem Haus, an den Schnee in den Wintermonaten und dass Micha mit Skiern zur Schule fuhr. In ihr erwuchs durch viele Wanderungen die Liebe zur Natur. Sie erinnerte sich, dass sie mit vier Jahren zusammen mit ihrem fünf Jahre älterem Bruder in ein Schweizer Kinderheim kam. Den Grund dafür erfuhr sie erst Jahrzehnte später. Es bestand die ernste Gefahr, dass die illegale Tätigkeit der Mutter enttarnt werden würde. „…Das bedeutete Trennung von den Eltern. Wir beide kamen in ein Kinderheim, weit entfernt von Polizei und Kinderfrau, meine Eltern zogen vorübergehend in eine Pension. Obwohl Mutter ein schönes Heim mit lieben Erziehern gewählt hatte, war diese Trennung für mich der erste große Schock in meiner Kindheit. Ich war doch erst vier Jahre alt und klammerte mich an meine Mutter und schrie. Mein Bruder versuchte tapfer zu sein und mich zu trösten, aber er war selbst den Tränen nahe. Unsere Mutter drehte sich schnell weg, um ihr Gesicht nicht zu zeigen. Sie wusste nicht, ob sie uns je wiedersehen würde.“ „Die Tochter bin ich“ Seite 17

1939 wurde die Ehe mit Rudolf Hamburger einvernehmlich geschieden.

Der Aufenthalt in England

Am 23. Februar 1940 heiratete Ursula Len Beurton und erhielt im Mai 1940 den englischen Pass. Auf komplizierten Umwegen ging Ursula im Dezember 1940 mit den Kindern auf die Reise nach England. „Am 24. Dezember kamen wir in Lissabon an, alle drei krank. Nina hatte hohes Fieber. Ich holte einen Arzt ins Hotel und besorgte noch schnell eine Puppe für sie und einen Baukasten für Micha, bevor auch ich mich hinlegte. Schließlich war Weihnachten.“ Sonjas Rapport Seite 270

In England fand Ursula zunächst keine Unterkunft für sich und die Kinder. Sie gab die Kinder in ein Kinderheim und bezog ein Zimmer. Später fand sie eine Wohnung und baute ihre konspirativen Kontakte auf. Dazu gehörten auch Fahrten nach London, als Besuchsfahrten zum Bruder und Vater getarnt. Sie schilderte: „Ninas Reaktion auf den ersten Bombenangriff, den sie miterlebt hat: Wie das Haus gewackelt hat! Und der schreckliche Lärm in den Mauern, unterm Bett, in meinen Ohren` Seitdem spricht sie immer wieder vom Tod. Täglich braucht sie die Versicherung, dass ich nicht sterbe, bevor sie erwachsen ist.“ Sonjas Rapport S. 282

Janina wurde eingeschult und erinnerte sich: „Jeder Schüler sollte Geschenke für die Soldaten an der Front mitbringen. Unsere Mütter strickten alle eifrig Socken und Handschuhe und am Tag der Übergabe standen wir in Reih und Glied in der großen Aula.“ „Die Tochter bin ich“ Seite 32.

Obwohl die neue Ehe als Scheinehe geplant war, schrieb Ursula in einem Brief an Len: „Jetzt, wo es nichts wird, weiß ich erst, wie fest ich mit Deinem Kommen gerechnet habe. Die hundert alltäglichen Dinge; Diesen Spaziergang müssen wir gemeinsam machen; Über dieses Buch werden wir zusammen sprechen; Wenn ich Schweres zu schleppen habe, holst Du mich von der Busstation ab; Niemals werden meine Abende einsam sein; Nun muss ich mich daran gewöhnen, dass solche Dinge nicht für uns da sind“ Sonjas Rapport Seite 283

Zwanzig Monate später bekam Len Beurton die Genehmigung nach England einzureisen und das Ehepaar war wieder vereint. Er war dann Soldat der englischen Armee und kämpfte gegen die Faschisten.

Ursula schrieb an ihre Mutter: „8. September 1943, 17.00 Uhr…. Und um 12.45 Uhr war ich noch einkaufen, und jetzt ist das Kind bereits zwei Stunden alt. Das zeigt Dir, ich habe es leicht gehabt. Es ist ein Junge, und er wiegt nur sechseinhalb Pfund. Er ist zwei bis drei Wochen zu früh gekommen.“ Sonjas Rapport Seite 301. Auch Len, der Papa, freute sich über seinen Sohn. Beim Besuch in der Klinik sagte er zu Ursula: „So glücklich habe ich dich noch nie gesehen…. Dann ging er zum Körbchen und betrachtete seinen sechs Stunden alten Sohn“ Sonjas Rapport Seite 297.

Nach Kriegsende zog Ursula Beurton mit den Kindern in ein altes Bauernhaus. Sie unternahmen gemeinsame Ausflüge in die Natur. Den ersten gemeinsamen Urlaub verbrachten sie in Wales.

Da Arbeit für Ursula schwer zu finden war und der dreijährige Peter untergebracht werden musste, beschloss Ursula Selbstversorger zu werden und einige Zimmer an Gäste zu vermieten. „Tatsächlich hatten wir bald einen ertragreichen Gemüsegarten. Seine Pflege machte mir im Gegensatz zur Hausarbeit, die ich, ein Leben lang hasste, Freude. Meine Blumenkohlköpfe wurden sogar von Experten gerühmt. Ich schaffte Hühner an und ließ die Hennen brüten. Ich kaufte ein fünf Wochen altes Schwein. Die Kinder liebten es sehr; ich musste ihnen versprechen, es auf keinen Fall zu schlachten“ Sonjas Rapport Seite 317

1947 und 1948 war Ursula mit den Kindern, dem Haus, dem Garten und den Mietern beschäftigt. Zur Geheimdienstzentrale nach Moskau bestand keine Verbindung mehr. Sie versuchte Artikel zu schreiben, um dadurch eine Aufgabe zu haben. Die Genehmigung zum Besuch ihres Bruders Jürgen Kuczynski in Deutschland wurde nicht erteilt.

Nach einem Krankenhausaufenthalt kam Len 1949 mit einem Gipsbein zurück. Janina erinnerte sich: „Vater hatte nun viel Zeit, und wir beide lernten das Flötenspielen. Jeden Sonnabend gab es ein kleines Konzert. Vater konnte da schon im Sessel sitzen, ich stand meist vor dem Insbettgehen im Bademantel neben ihm, und wir spielten Mutter etwas vor. Ich erinnere mich genau daran, weil sie solch ein glückliches Gesicht beim Zuhören bekam.“ Die Tochter bin ich Seite 60

Zurückgekehrt nach Deutschland

Ursula erhielt 1950 die Genehmigung in die DDR überzusiedeln. Die minderjährigen Kinder, Nina und Peter, gingen mit ihr. Michael, der 18-jährige Sohn blieb in England zurück. Offiziell reiste Ursula zu Besuch nach Deutschland, so dass sie und die Kinder nicht viel Gepäck mitnehmen konnten. Die Wohnungssuche in Berlin erwies sich als schwierig.

Im Frühjahr 1950 schrieb sie an ihre Schwestern: „Ich lese drei Zeitungen täglich von der ersten bis zur letzten Seite…Ich gehe zu Versammlungen, bekomme allmählich ein Gefühl für die Dinge, und bin bereit mit der Arbeit zu beginnen… Aber da melden sich die Familienprobleme – die Kinder! Jürgen, der brutale Kerl, schlägt mir vor, ich soll sie ständig in dem Kinderheim lassen, wo sie jetzt sind. Ich weigere mich, Es ist ohnehin schlimm genug, dass die Familie vielleicht für Jahre geteilt ist, die beiden jüngeren Kinder will ich wenigstens bei mir haben…“ Sonjas Rapport Seite 333

Nachdem Ursula eine bessere Wohnung erhielt, holte sie die Kinder zu sich. Peter wurde eingeschult, Nina wurde eifriges Mitglied der FDJ. Auch der Ehemann Len erhielt die Erlaubnis der Zentrale in Moskau in die DDR überzusiedeln.

Ursula war eine der Trümmerfrauen in Berlin. Sie teilte ihren Schwestern in England mit: „Heute war Aufbausonntag. Nina und ich ließen unsere traurigen Männer zu Hause (Peter noch zu klein, Len Knieverletzung) und gingen in Hosen und schweren Schuhen davon, sie zur Volksbühne, ich zur Wilhelmstr., um den Schutt wegzuräumen. Meine Gruppe hat sieben Tonnen Schutt geschafft. Jetzt, während ich schreibe, habe ich das Gefühl, die sieben Tonnen allein bewältigt zu haben.“ Auskünfte über Ruth Werner Seite 110

Als 1953 der älteste Sohn Micha den Entschluss fasste in die DDR zu kommen, war die Familie komplett und Ursula war glücklich.

Janina schrieb: „…und ich hatte plötzlich einen Verdacht und fragte Mutter, ob wir wieder mal umziehen – vielleicht zurück nach England. Aber sie sagte bloß: „Wir bleiben“ und hatte dabei ihr glückliches Gesicht, das wir so gern an ihr haben.“ „Die Tochter bin ich“ Seite 87

Im Alter von 50 Jahren beschloss Ursula Kuczynski ihren Traum wahr werden zu lassen, Sie wurde Schriftstellerin und veröffentlichte unter dem Namen „Ruth Werner“ zahlreiche Artikel, Bücher, Essays. 1977 kam ihr autobiographisches Werk „Sonjas Rapport“ heraus.

In den vielen Gesprächsrunden kam auch die Frage nach den Kindern auf. Darauf antwortete Ruth Werner: „Für mich gehören Kinder zum vollkommenen Leben, zum persönlichen Glück, das einem ja auch Kraft gibt für verantwortungsvolle Aufgaben. Immer habe ich auch versucht meinen Kindern ein Zuhause, eine fröhliche ausgeglichene Atmosphäre zu schaffen, sie möglichst von aller Unruhe abzuschirmen … Sie waren für mich auch ein gutes Alibi. Wer hätte schon in einer Frau mit drei kleinen Kindern eine Kundschafterin vermutet?… Sie sind alle drei ordentliche tüchtige Menschen, und ich bin froh, dass sie mit meinen Enkeln in unserer Nähe wohnen.“ Zeitschrift „Für Dich“ 11/1978 Seite 6 und 7

Die Familie vergrößerte sich, es kamen fünf Enkel und eine Urenkelin dazu. „(Sie) Freut sich an und über ihre Enkel. Ist aber froh, wenn sie nach zwei Stunden wieder abgeholt werden. Holt sie sogar, wenn notwendig, aus der Krippe ab. (Urenkelin). Und das mit 77 Jahren.“ Erinnerungen von Brigitte Tanski Seite 4

Janina sagte in einem Interview: „Unsere Mutter war warmherzig und aufgeschlossen. Und bescheiden. Auch dann, als sie öffentliche Anerkennung genoss.“ Dazu der älteste Sohn Michael: „Wir drei Kinder sind, wie unterschiedlich auch geartet, allergisch gegen alles Spießbürgerliche. Das haben wir von der Mutter mitbekommen.“ ND am Wochenende vom 25.26/ Februar 2006 Seite 17

Ruth Werner weilte oft in den Sommermonaten im mecklenburgischen Carwitz. Zusammen mit ihrem Mann Len Beurton unternahm sie ausgedehnte Spaziergänge, empfing Gäste und Familienangehörige. Noch im hohen Alter hielt das Ehepaar zusammen, besuchte Freunde und tauschte sich über die aktuelle Politik aus. Im Oktober 1997 starb ihr Ehemann Len.

„Für zukünftige Generationen will ich immer noch soziale Gerechtigkeit, Zugang für jeden zu einer guten Bildung, und vor allem will ich, dass nirgendwo jemand hungert und dass Frieden ist auf der Welt.“ Ruth Werner in Sonjas Rapport Seite 344

Menschen an Ihrer Seite

Ihr erster Ehemann Rudolf (Rolf) Hamburger war bereit alles für seine Frau zu tun. Er glaubt, sie so nicht zu verlieren. Schließlich war er zu einer Ehescheidung bereit, um ihr mehr Sicherheit zu geben durch die Möglichkeit einen englischen Pass zu erhalten. Er akzeptierte auch ihre Tochter Janina, hatte keine Rivalität mit deren leiblichem Vater „Ernst“ und war bereit, mit ihm gemeinsam für die Sowjetunion illegal zu arbeiten. Rolf war nicht erfolgreich in seiner konspirativen Tätigkeit, wurde mehrfach enttarnt und nach einer fingierten Anklage in der Sowjetunion zu zehn Jahren Lagerhaft verurteilt. Nach Rückkehr in die DDR arbeitete er als Architekt in Dresden, hatte eine eigene Familie, ist am 1.10.1980 verstorben. Brigitte Reimann setzte ihm in Gestalt des alten Architekten in ihrem Roman „Franziska Linkerhand“ ein Denkmal.

Ihr Partner „Ernst“, Johann Patra, mit dem Ruth Werner über ein Jahr in Mukden zusammenlebte und die Partisanen unterstützte, war ein baltischer Matrose. Er war der praktisch und technisch Begabte, gründlicher und in der konspirativen Tätigkeit erfahrener. Seine Tochter Janina hat er nur einmal in deren Alter von drei Jahren gesehen. Nach dem Krieg lebte er in Südamerika in ärmlichen Verhältnissen. Er erkrankte schwer und verstarb 1977.

Ihr zweiter Ehemann, Len Beurton, ist als Waisenkind bei Stiefeltern aufgewachsen, war sehr sensibel, aber auch mutig und tatkräftig. Er war bodenständig und liebte die Natur. In Ruth Werner hatte er sich bereits bei ihrer ersten Begegnung verliebt. Ungerechterweise wurde er manches Mal im Schatten von Ruth Werner gesehen. In der DDR war er als Übersetzer im Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN) tätig, aber nicht immer über die Büroarbeit glücklich. Jedoch, für Zärtlichkeit im Alter. Er verstarb 1977.

Der älteste Sohn Michael Hamburger studierte in Aberdeen (England) Philosophie, in Leipzig Physik. In der DDR arbeitete er als Dramaturg, Übersetzer und Publizist. Er brachte 2013 die schriftlichen Erinnerungen seines Vaters, Rudolf Hamburger, über dessen Lagerhaft in der Sowjetunion im Buch „Zehn Jahre Lager“ heraus. Er ist am 16.01.2020 verstorben.

Die Tochter Janina Blankenfeld beschreibt die Kindheitserinnerungen in dem Buch „Die Tochter bin ich“ Kinderbuchverlag Berlin 1985. Sie arbeitete als Lehrerin und lebte in Berlin. Am 30.10.2012 ist sie verstorben.

Der jüngste Sohn, Peter Beurton, studierte Biologie und Philosophie und arbeitete an der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Er wohnt in Carwitz, ist Ehrenmitglied des Ruth-Werner-Vereins und bereicherte mit seinen Kenntnissen über die Familie die Tätigkeit des Vereins. Er, wie auch die beiden anderen Geschwister ermöglichten und unterstützten die Recherchen zum Leben und Wirken von Ruth Werner.

Bildnachweise:

Bild 1: Die Geschwister, Sonjas Rapport Verlag Neues Leben 1946-2006, Seite 14
Bild 2: Rudolf Hamburger in Berlin als junger Architekt, „10 Jahre Lagerhaft“ Siedlerverlag München 2007 Bildteil
Bild 3: Mit Bücherkarren durch Berlin, Sonjas Rapport Verlag Neues Leben 1946-2006, Seite 15
Bild 4: Ursula mit Micha; geb. am 12.2.1931, Sonjas Rapport Verlag Neues Leben 1946-2006 Seite 73
Bild 5: Mit Nina 1936, Sonjas Rapport Verlag Neues Leben 1946-2006, Seite 187
Bild 6: mit Michael, Peter und Nina, „Sonjas Rapport“ Verlag Neues Leben 1946-2006 Seite 310
Bild 7: Heimkehr nach Deutschland, 1950, „Sonjas Rapport“„Verlag Neues Leben 1946-2006, Seite 332
Bild 8: Mutter und Kinder 1999 im Garten-Peter, Ruth, Janina, Michael,“ Funksprüche an Sonja“, Verlag Neues Leben 2007, Seite 223
Bild 9: Ruth und Len „Auch im Alter zärtlich sein…“ „Funksprüche an Sonja“, Verlag Neues Leben 2007, Seite 94

Quellennachweise:

1. „Sonjas Rapport“, Erste vollständige Ausgabe, Verlag Neues Leben Berlin, 2006.
2. „Auskünfte über Ruth Werner“, Herausgeber Joachim Sagasser, Verlag Neues Leben Berlin 1982.
3. „Funksprüche an Sonja“, Neues Leben Verlags GmbH &Co KG 2007.
4. „Die Tochter bin ich“ DER KINDERBUCHVERLAG BERLIN-DDR 1985.
5. Rudolf Hamburger „Zehn Jahre Lager- als Deutscher Kommunist im sowjetischen Gulag“, Siedler Verlag München 2007.
6. Zeitschrift „FÜR DICH“ Ausgabe 11/1978.
7. schriftliche Erinnerungen von Brigitte Tanski.
8. „Neues Deutschland“ am Wochenende vom 26.26./ Februar 2006.